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22.02.2016

Zwischen Erschöpfung und Pflichtgefühl – wenn Flüchtlingshelfer selbst Hilfe brauchen

Sie hören Geschichten von Flucht, Tod und Angst. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer gelangen oft an ihre physischen und psychischen Grenzen. Psychologe Karl-Heinz Hilberath über das neue Angebot der Immanuel Beratung Reden ist Gold.
Immanuel Beratung - Nachricht - Reden ist Gold - Hilfe für Flüchtlingshelfer

Was kann ich leisten, ohne an meine Grenzen zu stoßen? Im Beratungsgespräch gehen ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit dieser Frage nach.

Eine Frau bringt ihr Kind auf dem freien Feld zur Welt und verliert es. Sie hat ihre Heimat verlassen, ist auf der Flucht. Es muss weitergehen, auch ohne medizinische oder psychologische Betreuung und Begleitung. Sie erreicht Deutschland, innerlich gebrochen, körperlich gezeichnet.

Ein Mann hält seinen Sohn im Arm, auf einem Boot, mitten auf dem Meer. Eine Welle erfasst die beiden. Sie reißt den Jungen aus seinen Armen. Wäre er ins Wasser gesprungen, wären sie vermutlich beide gestorben. Der Vater erreicht Deutschland, innerlich gebrochen, körperlich gezeichnet.

Die Frau, die von diesen Schicksalen erfährt, ist selbst Mutter. Sie nimmt die Bilder mit, in ihrem Kopf, in ihrem Herzen, in ihre Träume, während sie schläft. Sie wird damit nicht fertig. Eigentlich wollte sie nur helfen, zuhören, da sein. Jetzt braucht sie selbst Hilfe.

Hilfe für Helfende

So wie diese Frau setzen sich tausende ehrenamtliche Flüchtlingshelfer in ganz Deutschland für schutzsuchende Menschen ein, sie machen Mut und geben Hoffnung. Manchmal sind es aber auch die Helfenden, die irgendwann Hilfe brauchen, wenn sie an ihre Grenzen stoßen. Reden ist Gold ist als Beratungs- und Unterstützungsangebot für diese Menschen ins Leben gerufen worden. Ein Team ausgebildeter Fachkräfte aus den Bereichen Psychologie, Therapie, Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Supervision und Coaching steht den Hilfesuchenden ab sofort in der Lebensberatung im Berliner Dom zur Seite.

Karl-Heinz Hilberath ist Diplom-Psychologe und seit 2014 Leiter der Beratungsstelle. Er wohnt in Moabit, hat Kontakt zur Bürgerinitiative Moabit hilft, ist der Flüchtlingsarbeit ganz nah: „Ich habe die Einsatzbereitschaft der ehrenamtlich Engagierten in der Flüchtlingsarbeit erlebt, im Laufe der Zeit aber auch miterlebt, wie ihre Kräfte zusehends weniger wurden. Ich wusste, es braucht ein Angebot für diese Menschen, wenn es sie umhaut.“

Mehr über Reden ist Gold erfahren Sie im nachfolgenden Interview.

„Ich wusste, es braucht ein Angebot für diese Menschen, wenn es sie umhaut“

Im Gespräch mit Karl-Heinz Hilberath

Wie kam es zur ersten Beratung?

Die St. Simeon Kirche an der Wasserturmstraße in Kreuzberg ist seit Anfang Oktober 2015 auch Begegnungs- und Beratungszentrum für Flüchtlinge. Bei der Eröffnung habe ich deutlich gemacht, dass wir als Lebensberatung im Berliner Dom für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer da sind, wenn sie Unterstützung brauchen und suchen. Kurze Zeit später haben sich die ersten drei ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit Engagierten gemeldet. Keiner hat sie geschickt, sie sind von sich aus gekommen, weil sie feststellen mussten: Es wächst mir alles über den Kopf!

Welche Problematik hat sich aus den Gesprächen ergeben?

In zwei der drei Einzelgespräche zeichnete sich eine klare Struktur ab: Ich bin hochmotiviert zu helfen, erlebe dann aber, dass die viele Arbeit auf zu wenigen Schultern verteilt ist, dass die Strukturen teilweise nicht funktionieren. Mit einem Limit von zwei, drei Stunden hatte ich meine Hilfe anfangs angeboten, moralisch konnte ich die Arbeit nach dieser Zeit aber nicht einfach niederlegen und gehen. Ich bleibe also länger, komme um 23 Uhr nach Hause. Das mache ich ein oder zwei Mal, dann immer öfter. Es kommt zu Spannungen in der Partnerschaft. „Du bist ja nie da!“ Irgendwann sind die persönlichen Ressourcen ausgeschöpft, es kommt zu Erschöpfungszuständen, die Akkus sind aufgebraucht. Gleichzeit existiert dieses furchtbare Gefühl in mir: „Ich kann die doch nicht im Stich lassen!“ Das sind Burn-Out Situationen, die nicht durch den Job, sondern durch Ehrenamt plus Job plus Familie herbeigeführt worden sind.

Was stand in der dritten Beratungssituation im Vordergrund?

Wir alle haben in den vergangenen Monaten schreckliche Bilder von geflüchteten Menschen im Fernsehen gesehen, uns vielleicht nicht abgegrenzt und diese Dinge mitgenommen, vielleicht davon geträumt. Das passiert natürlich noch heftiger, wenn eine Mutter ihnen erzählt, dass sie ihr Kind einfach so gebären musste, es verloren hat. Sie hatte Schmerzen, körperlich und seelisch. Sie sind selbst eine Frau, haben Kinder zur Welt gebracht. Wenn es Probleme gab, gab es ärztliche Versorgung. Neben der klassischen Hilfe, die die Versorgung mit Essen, Trinken und Kleidung einschließt, wollten die Ehrenamtlichen halt wissen, wie es „denen“ geht und was sie zu erzählen haben. Man sieht sich ja jeden Tag, es hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Sie hören zu, obwohl sie nicht großartig geschult sind oder qualifiziert für diese Art Gespräche. Sie nehmen die Bilder mit. Und obwohl sie es nicht selbst erlebt haben, hat sie das, was sie gehört haben, traumatisiert und lässt sie nicht mehr schlafen.

Wie lange hat es gedauert, bis die drei gemerkt haben, dass sie Hilfe brauchen?

Das kann ich nicht genau sagen. Zwei sind seit sechs Monaten ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit tätig, einer seit neun Monaten. Alle drei sind verheiratet. Angestoßen worden ist es familiär. „Du schläfst nicht mehr. Meinst du nicht, dass du Hilfe brauchst?“

Wie haben Sie die drei aufgefangen?

Für mich als Psychologe ging es darum, diese Menschen dort abzuholen, wo sie sich gerade befinden. Es gab bisher mehrere Gespräche, kontinuierlich, so wie es im Beratungssetting üblich ist. So etwas ist nicht mit einem oder zwei Gesprächen aufgearbeitet. Es braucht Zeit, bis diese Menschen ihr Maß und ihre Abgrenzung wiedergefunden haben.

Keiner ist davor gewappnet, in solch eine Burn-Out Situation zu kommen, egal wie stark er ist oder? Haben Sie Empfehlungen für ehrenamtlich Helfende, die noch nicht ausgebrannt sind?

Wichtig ist, dass ich mir im Vorfeld deutlich mache, was ich leisten kann, ohne an meine Grenzen zu stoßen. Ich brauche ja Zeit für mich, für meinen Partner, für Kinder, für Freunde, für meinen Beruf. Es ist wichtig, sich für das Ehrenamt ein zeitliches Limit zu setzen und sich immer wieder deutlich zu machen, dass ein mehr an Zeit zu einer Überforderung führen kann. Wir alle können eine 60-Stunden-Woche hinlegen, nur dauerhaft eben nicht.

Burn-Out hat ja eine Eigendynamik, hat etwas mit Leistung und Erfolg zu tun. Ich sehe, dass ich etwas bewirke, ich bin stolz darauf, will noch mehr, sehe ja, dass ich gebraucht werde, bekomme Feedback, fühle mich moralisch verpflichtet. Ich merke, dass es zu viel wird, rutsche und rutsche ein bisschen tiefer, bis es irgendwann zu viel wird und ich völlig abstürze. Wichtig ist, in sich hineinzuhorchen, einen gesunden Egoismus zu haben und auch zu behalten.

Wie ist das Projekt entstanden?

Natürlich haben wir aus den Medien mitbekommen, dass Flüchtlinge in unser Land kommen und wie begeistert die Menschen eben helfen wollen. Ich beispielsweise wohne in Moabit, habe Kontakt zu „Moabit hilft“. Wir haben diese Einsatzbereitschaft gesehen und erlebt, gleichzeitig aber schon darüber nachgedacht, wer eigentlich den Helfern hilft.

Meine eigene Initialzündung für „Reden ist Gold“ war eine gute Freundin, Ärztin, mit Überstunden, die sie abbauen wollte. Sie sagte: „Ich gehe da jetzt rein und helfe denen!“ Gerade im medizinischen Bereich herrschte anfangs ja eine Unterversorgung. Ich habe dann miterlebt, wie sie ihre Kräfte im Lauf der Zeit verließen. Das war dann auch für mich der Punkt zu sagen: „Wir brauchen jetzt ein Angebot für ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit.“ Auch die Helfenden brauchen Hilfe, damit sie diesen wertvollen Beitrag in unserer Gesellschaft auch weiterhin leisten können.

 
 
 
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